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Chungking Mansions, Hong Kong, Kowloon

Aufenthalt in Hong Kong / 7 Wochen Chungking Mansions

12 filmische Fragmente

Transport / Überlebens-Architekturen

Das Projekt Transport / Überlebens-Architekturen wirft als filmische Untersuchung die Frage auf, wie ein außergewöhnlicher architektonischer Raum - ein Hotel im Hongkonger Viertel Kowloon - sich konkret mit den Lebensräumen seiner in einem kapitalistischen Ausnahmezustand sich befindenden Bewohnern verschränkt. Der Bau, der vor fünfzig Jahren für eine Mischnutzung entworfen wurde, ist mittlerweile eine der Gleichmachungstendenzen der umliegenden großen Hotelketten widerstehenden Insel für Menschen geworden, derer temporärer Aufenthalt wesentlich unbestimmt ist, deren Versuche des Warentransfers überraschende Verbindungen wie Verhinderungen erfahren, deren Lebensstatus ebenfalls Wandlungen unterworfen ist: aus Gästen werden Bewohner, aus Bewohnern Besitzer; aus Handelstreibenden Wächter einer nicht nachgefragten Produktion; aus Immigranten Lehrlinge eines Berufsstandes, der nicht der Gewinnmaximierung, sondern seiner zufälligsten Ausformungen unterworfen ist. Die Hoffnung auf eine Existenz führt die Menschen ins Chungking Mansion - hier wird sie zu einer Überlebens-Form, die wesentlich vom Haus selbst, von deren anderen Bewohnern und den räumlichen Ressourcen bestimmt wird. Gleich den Überlebens-Räumen, differenziert sich der architektonische Raum nach innen nach Kriterien aus, die, so denkt man zunächst, am ehesten chaostheoretisch beschrieben werden müssten:

Nicht nur, dass verschiebbare Wände jede primär logische Erfassung unmöglich machen. Unterschiedliche Besitzer bringen Mischnutzungen hervor, in denen die Bewegung - im konkreten Raum wie im biographischen Raum - ein komplexes Geflecht ergibt. Die These dieses Projektes ist, dass diese Bewegung nicht nur - dem Phänomen "Chungking Mansions" geschuldet - sichtbar in einem buchstäblichen Sinne ist. Wenn sie einer Ordnung unterworfen sein sollte, so lässt sich diese filmisch - mit den Mitteln der Montage, mit bildlichen Typologisierungen, mit graphischen Konstrukten - rekonstruieren.
Die Chungking Mansions verfügen über fünf Blöcke - A, B, C, D und E genannt. Von der ursprünglichen Nutzung des A-Blocks als Hotelgebäude zeugt nur noch das "Chungking House", das immer noch eine ganze Etage belegt und dessen Ausstattung kaum Veränderungen unterworfen worden ist. Es ist das einzige offiziell anerkannte Hotel des Hauses - die anderen ließen sich als "Patchwork"-Hotels beschreiben: Deren Besitzer sind so wechselhaft wie die ständig neu entworfenen Grundrisse der Zimmer. Die anderen, hinter der schönen Fassade des ersten Blocks an beiden Seiten aufgerichteten Blöcke sind von der Straßenseite nicht einsichtig. Vorrangig sind es Wohneinheiten - die auch an Reisende untervermietet werden -, nicht selten Restaurants, Büro- und Verkaufsräume, Gewerberäume oder eine Melange von diesen. Im E-Block hat sich zum Beispiel eine christliche Organisation niedergelassen, die Hilfsbedürftige betreut und von Flüchtlingen aufgesucht wird. Moslems kommen hierhin, nebenan liegt ein indisches Restaurant, das offiziell als Wohngemeinschaft eingetragen ist.
Siebzehn Stockwerke hoch ist der Bau, der neunte und der zehnte Stock des A-Blocks wurden von der Polizei geräumt, als Prostitution und Drogenhandel ruchbar wurden. Man munkelt in den Chungking Mansions, dass das nebenliegende Imperior-Hotel die Stockwerke aufkaufen würde, um sich zumindest eine eindeutig gekennzeichnete Fläche zu sichern. Die Eingangshalle der Mansions ist den Imperior-Gästen nicht zuzumuten - ein eigener, nur in diese Stockwerke führender Brückengang solle das Eigentum über die Gebäude hinweg verbinden.
Vor dem Gebäude werden Dienstleistungen, Drogen und indische Prostituierte ("Curry Chicken") angepriesen, Menschenmassen bewegen sich in den ersten beiden, von Geschäften, kleinen Restaurants und Imbissen belegten Etagen in zähen oder wendigen oder kreisförmigen Figuren. Darüber sitzt einer in einem sechs Quadratmeter großen Zimmer und schreibt an einem Drehbuch, in einem acht Quadratmeter großen Office werden Steine gehandelt, Afrikaner hängen an Telefonleitungen und versuchen, eine Verbindung mit ihrer Heimat aufzunehmen, im 16. Stock spielen Kinder auf Kachelböden, die sieben Quadratmeter groß sind, und zwischen 10 und 18 Uhr bemüht sich der Manager des Gebäudekomplexes, seine Vision aufrechtzuerhalten, dass er eines Tages ein sauberes, nicht kriminelles Gebäude erschaffen würde. Kürzlich kamen hier noch drei Menschen um, in diesem Hotel mit dem "Zero-Star"-Titel, das zwischen die Skyline der 5-Sterne-Hotels gepresst worden ist. Auf den Visitenkarten der kleinen Gewerbetreibenden, die sich keine erste Adresse leisten können, ist das Mansion ein weißer Fleck zwischen Imperior und Holiday Inn. Die Brüche in Hongkongs Geschichte haben sich hier wie in einem Gestein stratifiziert. Glaubt man, eine Etage begriffen zu haben, wird der Begriff, den man davon gewonnen hat, bei der nächsten wieder hinfällig. Scheitert eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft auf Zeit, hat sich an einer anderen Stelle ein Besitzstand gefestigt und sich ein neues Kluster gebildet.

Was hier schlaglichtartig angerissen wurde, soll in einem einstündigen dokumentarischen Experimentalfilm formal systematisiert werden. Mein Interesse geht dahin, mit animierten Bewegungsabstraktionen, mit grafischen Icons, mit seriellen Montagen jenes Moment an diesen Phänomenen sichtbar zu machen, das es bündelt. Ein architektonisches Ordnungsprinzip kann filmisch durchleuchtet werden, Arbeitsprozesse können in ihrer Abstraktheit sichtbar gemacht werden durch die Konzentration auf ihre Choreographie. Die Topologie des Ortes, die Typologie der Objekte und der Aktionen stehen im Vordergrund. Bereits beim Betreten der Eingangshalle der Chungking Mansions drängt sich auf, dass nicht das Bild, sondern der Ton diesen ersten Raum konstituiert - eine gleichwertige Behandlung von Ton und Bild ist daher ebenfalls eine zentrale ästhetische Prämisse. Meine erste Recherche hat in Interviews und in der spontanen Reaktion auf Situationen zahlreiche Überraschungsmomente mit der Kamera eingefangen, die von zweierlei sprechen: vom Chaos in einem Warendistributionsprozess, der in unserer Kultur als ein geregelter gilt. Vielleicht ist es derselbe Zufall, der das Labyrinth des Hauses lebbar macht und Menschen dazu bringt, sich an einem der unstetesten, ungesichertesten, periphersten Orte wie in einem Zuhause einzurichten.

Text: Irene Rudolph & Meggie Schneider








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